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Liebe Leserinnen und Leser,
zeigt die globale Finanzkrise, dass Unternehmen nicht ökonomisch nachhaltig sind? Das wäre natürlich eine bittere Erkenntnis, denn wenn Unternehmen bislang etwas gut konnten, dann war es, die Kapitalsubstanz zu erhalten. Schließlich dürfen sie erst Gewinne ausweisen, wenn das investierte Kapital zurückgeflossen ist. Die Erhaltung der Kapitalbasis ist das eigentliche Anliegen von Nachhaltigkeit. Unternehmen beherrschten dies bislang gut beim Finanzkapital, weniger gut beim Humankapital und gar nicht beim Naturkapital. Gerade beim Letzteren wird das Kapital nur verbraucht und wenig reproduziert.
Bezogen auf dieses Verständnis hat das riskante Anlegen von Geld, um die Zinserträge zu maximieren, wenig mit der Kategorie Nachhaltigkeit zu tun. Hinter riskanten Geldanlagen steht der Wunsch, die Höhe des Finanzkapitals deutlich auszuweiten. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob das Streben nach hohen Eigenkapitalrenditen nicht anderen als ökonomischen Motiven folgt. Ganz abstrakt ausgedrückt und wirklich ökonomisch nachhaltig gedacht, müssten Unternehmen ihr Finanzverhalten der Eigengesetzlichkeit des Finanzsystems anpassen und mit den Eigengesetzlichkeiten der Kapitalquellen Natur und Gesellschaft abstimmen. Konkret wird dann von Umwelt- und Sozial-verträglichkeit gesprochen.
Eine Eigengesetzlichkeit des Finanzsystems ist die Widersprüchlichkeit von Rentabilität und Sicherheit: Je höher die Rendite, umso unsicherer, riskanter die Finanzanlage. Rendite und Sicherheit kann man nicht gleichzeitig steigern, die beiden Größen leben in einer negativ-kausalen Wechselbeziehung. Im Ergebnis müssen immer Trade-offs akzeptiert werden: Wer sicher anlegen will, bekommt den Trade-off einer geringeren Rendite; wer renditeorientiert anlegen will, bekommt den Trade-off einer geringeren Sicherheit. Das wissen alle Banker und Finanzmanager und deren Kunden auch. Und für nachhaltige Geldanlagen gilt dieser Zusammenhang im Übrigen auch. Dass die Finanz-manager dieser Welt dann gemeinschaftlich auf Rendite statt Sicherheit gesetzt haben, liegt daran – so hier die Hypothese – dass sie sich wechselseitig dazu legitimiert haben, den Trade-off der geringeren Sicherheit zu ignorieren.
Die Finanzkrise ist ein gutes Lehrbeispiel dafür, warum dem Konzept der Gestaltungskompetenz zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung unlängst drei neue Teilkompetenzen hinzugefügt wurden. Nicht nur Rendite und Sicherheit, sondern auch Vermehrung des Finanzkapitals und Erhaltung des Natur- und Humankapitals verhalten sich widersprüchlich zueinander: Finanzkapital entsteht nur, wenn Naturkapital verbraucht wird. Wie beim finanziellen Anlegeverhalten müssen auch bei allen langfristigen Nachhaltigkeitsentscheidungen Gefahren und Unsicherheiten erkannt und abgewogen werden; mit dem Blick auf die Nebenwirkungen des Anlageverhaltens stellen sich auch die Gerechtigkeitsfragen, wenn beispielsweise große Finanzjongleure mit den für die Altersvorsorge angesparten kleinen Vermögen spielen. Vielleicht müssen auch die Manager und Managerinnen noch einmal an folgenden Kompetenzen arbeiten: moralisches Handeln, Bewältigung von Entscheidungsdilemmata (Trade-offs) und Umgang mit unvollständigen und überkomplexen Informationen. Diese drei neuen Teilkompetenzen sind für ein nachhaltigeres Verhalten eine wichtige Voraussetzung.
Meine Hoffnung ist, dass die Finanzkrise etwas ändert, was bis heute als „Political Correctness“ der Nachhaltigkeitsdebatte gilt: Alle müssen irgendwann darauf hinweisen, dass mehr Umwelt- und Sozialverträglichkeit auch dem ökonomischen Erfolg dient. Nun wird das „Sagbarkeitsfeld des Politisch Korrekten“ größer, ökonomischer Erfolg wird vielleicht langfristiger definiert und Widersprüche und Dilemmata in den Zielbeziehungen der drei Dimensionen dürfen schon einmal erwähnt werden. In diesem Falle würde die Finanzkrise – trotz all ihrer negativen Begleiterscheinungen – der Nachhaltigkeit einen Gefallen tun.
Ich wünsche Ihnen viele Anregungen bei der Lektüre der aktuellen Ausgabe des BNE-Journals.
Ihr Prof. Dr. Georg Müller-Christ
Mitglied des Runden Tisches und
Sprecher der Arbeitsgruppe Hochschule und Nachhaltigkeit
Universität Bremen
Forschungszentrum Nachhaltigkeit
Fachgebiet: Nachhaltiges Management