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Das Interview
Michael Wimmer, Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg, über Tiermast in Europa, Bio vom Discounter und günstiges Einkaufen.
Brigitte.de: In Brasilien leidet ein Viertel der Bevölkerung an Hunger. Gleichzeitig exportiert das Land fast die gesamte Sojaernte zur Tiermast nach Europa - in Länder, in denen oft massenweise Lebensmittel weggeworfen werden. Wie helfen Bioprodukte, dieses Ungleichgewicht zu lösen?
Michael Wimmer: Biobetriebe können nicht massenhaft Sojaschrot aus Brasilien oder Argentinien einkaufen, um unabhängig von der eigenen Anbaufläche Massentierhaltung zu betreiben. In der ökologischen Landwirtschaft ist die Anzahl der Tiere, die ein Bauer halten darf, abhängig von der Größe seiner Anbauflächen und damit von der Futtermenge, die er selbst produzieren kann. Unsere konventionelle Massentierhaltung funktioniert nur, weil wir auf einem anonymen Weltmarkt Sojaschrot zu Spottpreisen kaufen können, ohne die Folgen zu berücksichtigen. Also die Abholzung des Regenwaldes und eine hungernde Bevölkerung in Brasilien. Unsere staatlich geförderte Überproduktion zerstört dann auch noch den Rindfleischmarkt in Afrika - die dortigen Bauern können mit unseren subventionierten Waren nicht konkurrieren.
Brigitte.de: Bio-Gegner argumentieren, dass man mit ökologischer Landwirtschaft allein die Weltbevölkerung nicht ernähren kann.
Michael Wimmer: Das ist einfach falsch. Es stimmt zwar, dass Bio-Pflanzen oft nur die Hälfte an Ertrag bringen, dafür kann auf gleicher Fläche mehr angebaut werden. Mais und Bohnen werden in der ökologischen Landwirtschaft zum Beispiel auf dem gleichen Feld angebaut und können so den doppelten Ertrag bringen. Die Bohne schlängelt sich einfach am Maisstängel hoch. Der Ökolandbau ersetzt die chemische Keule mit einer intelligenten Fruchtfolge. Gerade in den Entwicklungsländern fehlt den Menschen häufig das Geld für Spritzmittel. Durch ökologischen Landbau können die Bauern gute Erträge erzielen. Die Unkosten sind gering, da sie keine Pflanzenschutzmittel brauchen.
Brigitte.de: Bio-Produkte gibt es mittlerweile sogar im Discounter. Ist das eine Lösung für diejenigen, die abends kurz vor Geschäftsschluss zum Einkaufen hetzen und keine Zeit haben, zum nächsten Bioladen zu fahren?
Michael Wimmer: Der Trend geht zu Bio für Jedermann an jedem Ort - also auch im Restaurant und an der Tankstelle. Wer im Bioladen oder direkt vom Biohof kauft, weiß, dass er den höchsten ökologischen und sozialen Standard bekommt, der von Anbauverbänden wie Demeter oder Bioland überprüft wird. Betriebe, die sich ausschließlich an die EG-Bioverordnung halten, haben zum Beispiel größere Spielräume beim Futterzukauf. So können sie Mist oder Gülle vom Nachbarn kaufen, der dafür vielleicht Stickstoff einsetzt und damit das Grundwasser belastet. Die Frage ist: Wo hört Bio auf? Natürlich gibt es Ängste, dass die Discounter zum Beispiel anfangen, die Preise zu drücken. In Bioläden werden zudem gezielt regionale Produkte verkauft. Discounter kaufen auch ihre Biowaren europaweit dort ein, wo sie gerade am günstigsten sind. Dennoch ist für die Verbraucher das staatliche Biosiegel gerade beim Einkauf im Supermarkt eine gute Orientierung. Wer mehr will, geht in den Naturkostladen oder einen der so genannten Biosupermärkte oder kauft direkt beim Bio-Bauern. Die Biobranche ist inzwischen ein Stück weit entideologisiert. Der Antrieb, Bio zu kaufen, ist nicht mehr unbedingt das schlechte Gewissen. Häufig ist es die Lust, sich nach hochwertigen Produkten in angenehmem Ambiente umzusehen.
Brigitte.de: Viele sagen, sie würden gerne Bio kaufen, aber ihnen ist das zu teuer.
Michael Wimmer: Bioprodukte kosten mehr, da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Falsch ist aber, dass Bio nur etwas für Besserverdienende ist. Gerade Studenten - also Leute mit geringem Budget - kaufen oft überproportional viel Bio. Ich habe auch mal eine Studie gesehen, bei der Haushalte mit hohem Bioanteil mit Haushalten verglichen wurde, bei denen konventionell erzeugte Lebensmittel eingekauft wurden. Das Ergebnis: Die Bio-Haushalte geben unterm Strich sogar weniger Geld für Lebensmittel aus.
Brigitte.de: Wie ist das möglich? Wie kann man trotz Bio günstig einkaufen?
Michael Wimmer: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, beim Einkaufen zu sparen: -Saisonal einkaufen: Bio-Erdbeeren im Juni sind billiger als konventionell angebaute Erdbeeren im März. -Einkauf beim Erzeuger: Wer direkt beim Bauern einkauft, muss keine Zwischenhändler zahlen. -Einkauf auf Vorrat: Wer einmal 25 Kilogramm Möhren oder Kartoffeln kauft, zahlt einen anderen Preis als jemand, der im Laufe des Jahres 50 Mal loszieht, um jeweils 500 Gramm zu kaufen. Kartoffeln, Möhren und Obst können oft gut im Keller gelagert werden. -Fleischkonsum reduzieren: Vor allem Fleisch ist in Bioqualität relativ teuer, Biogeflügel kostet schon mal das Dreifache von normalem Geflügel. Der Vertrieb von Biofleisch ist durch die kleineren Mengen einfach teurer. Das ändert sich aber, die Preisdifferenz wird abnehmen. -Verbrauchergemeinschaften bilden: Ein Beispiel ist der LPG-Biomarkt, Europas größter Bio-Supermarkt in Berlin. Dort gibt es Kunden und Mitglieder. Die Mitglieder zahlen einen Jahresbeitrag und bekommen dafür beim Einkauf Rabatt. Dieser Biomarkt hat übrigens auch samstags bis 20 Uhr geöffnet.
Brigitte.de: Wie kaufen Sie selbst ein?
Michael Wimmer: Bei mir ist es eine Mischform. Am liebsten kaufe ich zusammen mit Frau und Kind direkt beim Bauern auf dem Land ein. Sonst gehe ich in den Bioladen um die Ecke. Aber wenn es sein muss, verirre ich mich auch mal in einen Supermarkt. Nur bei Fleisch und Wurst mache ich keine Kompromisse.